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  • Laudation auf Christoph Hein

    Hans Ulrich Probst, 10. Juli 2000

    «Ohne Rückgrat ist Schreiben nicht möglich»

    Lieber Christoph Hein,

    Seien Sie herzlich willkommen aus der Metropole Deutschlands hier in Solothurn, das wenigsten für die Literaturszene die heimliche Hauptstadt der Schweiz abgibt.

    Meine Damen und Herren,

    Es ist mir eine grosse Freude, Ihnen heute einen Autor als Preisträger zu präsentieren, dessen Werk für unsere Jury ganz ohne Frage zu den bedeutendsten der letzten zwei Jahrzehnte in deutscher Sprache zählt. Es ist ein reiches, weit gespanntes Werk, was wir heute auszeichnen: neben einer Fülle Prosaarbeiten umfasst es rund ein Dutzend Theaterstücke und eine Vielzahl politischer und literarischer Essays.

    Es ist aber ebensosehr auch die Persönlichkeit des Autors, die hier zu ehren mir Vergnügen bereitet: Christoph Hein hat, wie wenige seiner Zeitgenossen, beharrlich und unbeugsam gegen jegliche Unterdrückung und gegen Pervertierung der sozialistischen Idee in der alten DDR sich gewandt, ohne deswegen je Illusionen zu hegen hinsichtlich des triumphierenden Kapitalismus . Unerschrocken und klug, dabei auch im Erfolg bescheiden, hat er stets für die Freiheit der Menschen, der Ideen und der Kunst sich eingesetzt!

    Nun mag angesichts des eindrücklichen Oeuvres von Hein überraschen, wenn ich zu Beginn gestehe, dass mein Lieblingsbuch von Christoph Hein den Titel trägt «Das Wildpferd unterm Kachelofen». Es ist sein einziges Kinderbuch, zunächst nur in zwei Exemplaren für seinen zweitgeborenen Sohn Jakob verfasst, und darum, wie er sagt, «ein ganz wichtiges Buch, weil es sehr persönlich ist». Dies ist ein wunderbar menschliches phantasievolles, phantastisches Werk; der Untertitel lautet: «ein schönes dickes Buch von Jakob Borg und seinen Freunden». Und nicht etwa der Autor erzählt dem Jungen Jakob Geschichten, sondern es ist der Bub Jakob, der dem Verfasser von geglückten und gescheiterten Abenteuern mit seinen Freunden berichtet . Zu diesen Freunden gehören u.a. ein Esel, der Professor werden will, ein alter Clochard voller Lügengeschichten, ein falscher Prinz, ein verhinderter Entdecker, und das Mädchen Katinka, das Pferde über alles liebt. Darum machen sich Kleine Adlerfeder und Falscher Prinz eines Tages auf, um für Katinka ein Wildpferd einzufangen, scheinbar mit Erfolg: das Tier ist zwar etwas klein, verfügt aber über das gewünschte weiche Fell, doch als Jakob die Beute erblickt, bereitet er den stolzen Jägern eine bittere Enttäuschung: «Ich fürchte, das ist kein Wildpferd, was ihr da eingefangen habt … Weil es eine Katze ist, erklärte Jakob Borg … Das war natürlich eine unangenehme Ueberraschung». Doch dann heisst es: «Katinka … freute sich, dass sie nun eine eigene Katze besass. Und gleichzeitig war sie unglücklich, weil ihr Traum von einem Pferd ein Traum geblieben war. Aber ein Traum, sagte sie sich dann, ist auch etwas Schönes. Wann immer ich will, kann ich von meinem Pferd träumen. So sass Katinka neben ihrer Katze, drückte sie fest an sich und träumte von ihrem Pferd».

    Derart einfühlsam, humorvoll und weise handelt Hein von Ungeschick und Bruchlandungen seiner kleinen Helden, und prägt dabei manch schräg-träfe Maxime. So notiert Kleine Adlerfeder, nachdem er, mit einem Luftballon zur Weltumseglung aufgebrochen, schon am ersten Apfelbaum im Garten hängen geblieben ist:
    «1. Ein Apfelbaum kann bei einer Weltreise sehr hinderlich sein.
    2. Bei Gegenwind ist es schwer, der Menschheit einen Dienst zu erweisen.»
    Wer möchte da widersprechen? Soweit mein Prolog!

    Christoph Hein geniesst im wiedervereinigten Deutschland genauso wie zuvor im geteilten zurecht grösste Reputation – als klarsichtige, unbestechliche Stimme -, während er hierzulande noch mehr als Geheimtip gilt. Erlauben Sie mir also ein paar bio-bibliographische Eckdaten zu nennen:

    Geboren am 8.April 1944 in Schlesien, siedelt Christoph Hein mit seiner Familie bei Kriegsende nach Sachsen um. Er wächst in der Kleinstadt Bad Düben bei Leipzig auf, früh schon konfrontiert mit Nichtzugehörigkeit, als Kind von Umsiedlern und als Sohn eines im neuen Ostdeutschland ungern gelittenen evangelischen Pastors. So wird ihm der Besuch des Gymnasiums in der DDR verwehrt, weshalb er ab 1958 bis zum Mauerbau 1961 in Westberlin zur Schule geht. Nach dem 13. August kehrt er zur Familie zurück. Da er nach dem Abitur nicht studieren darf – jobbt Hein in vielerlei Berufen; ab 67 kann er zwar nicht, wie gewünscht Theater, aber immerhin Philosophie und Logik studieren. Im Regisseur Benno Besson – damals d e r Star der Ostberliner Volksbühne, ein Schweizer übrigens -, in Benno Besson findet Hein «endlich einen, der mir half»; Besson macht ihn zum Dramaturgen, später zum Hausautor seiner Bühne. Nach ersten Stücken erscheint 1980 als erster Prosaband: «Einladung zum Lever Bourgeois» – worin Heins Hauptthemen schon anklingen, namentlich das Verhältnis des einzelnen zur Macht und zur Geschichte. Den Durchbruch als Autor bringt dann die Novelle «Drachenblut»; sie erschien bei uns unter diesem Titel, heisst aber eigentlich «Der fremde Freund« – schon im Titel ein Verweis auf Camus. Es ist die Geschichte der vierzigjährigen Aerztin Claudia, die sich in der beziehungsarmen Kälte der neuen Konsum- und Singlewelt einrichtet; sie verkündet, keine Wünsche mehr zu haben, wähnt sich, «in Drachenblut gebadet», unverletzbar, verrät freilich mit solch ihren trotzigen Sätzen nur allzudeutlich den Schrei des unterdrückten Schmerzes der Einsamkeit. Heins durch ihre Unterkühltheit packende Darstellung und Kritik der Kosten moderner Lebensweise hat man sofort als weithin gültig verstanden. In beiden deutschen Staaten gierig verschlungen und vielfach übersetzt ist «Drachenblut» ein Kultbuch geworden; es liest sich heute genau so frisch wie damals. Mit den folgenden Romanen «Horns Ende» und «Der Tangospieler» hat Christoph Heins sich so realitätsnahen wie tiefgründigen Erzähler etabliert; Essays und Stücke runden das Werk bis 1989 ab,- in bester Erinnerung etwa «Die Ritter der Tafelrunde», eine ins Gewand der Artussage verkleidete Komödie über versteinerte Verhältnisse und alte Männer, welche von der Macht nicht lassen mögen. Hein selbst hat immer auf Distanz zu den Mächtigen geachtet, in den Büchern ohnehin, aber auch in Reden, etwa seiner grossen Rede wider die Zensur 1987, worin er ungeschminkt die als Genehmigungsverfahren kaschierte DDR-Zensur als «überlebt, nutzlos, paradox, menschenfeindlich, volksfeindlich, ungesetzlich und strafbar» brandmarkt. Distanz hält er freilich immer auch zur offiziösen Intelligenz der DDR, der er einmal vorwirft, «das provokatorische Moment des Neuen, das weiterführen kann, auch gegen Bestehendes, aufgegeben zu haben».

    (Er selbst ist diesem Neuen und dem was Sozialismus wahrhaft bedeuten könnte, verpflichtet geblieben: in seiner Laudatio auf Max Frisch als Heine-Preis-Träger kurz nach dem Mauerfall 1989 sagt Hein: «Die Ellbogengesellschaft, die auf Kosten der sogenannten zweiten und dritten Welt lebt, die auf Kosten der Nachfahren der eigenen Kinder lebt, ist nicht meine Hoffnung»)

    Die Wendezeit sieht den nie kompromittierten, unkorrumpierbaren Citoyen und Aufklärer Hein stark politisch gefordert, aktiv in vielen Bürger-Ausschüssen – zuletzt auch war er zwei Jahre erster Vorsitzender des wiedervereinigten deutschen PEN-Clubs. Als Autor hat Christoph Hein seine Leserinnen und Leser dann 1997 mit dem Roman «Von allem Anfang an» überrascht und beglückt, einem berührend stimmigen, sanft melancholischen und sehr persönlichen Geschichtenkranz über Freuden und Nöte einer Kindheit, und jetzt eben liegt, praktisch druckfrisch, vor uns der Roman «Willenbrock», eine beklemmendes Buch über den dünnen Firnis der Zivilisation und neue Unfreiheiten. Dazu später mehr.

    Soweit eine Skizze von Leben und Werk unseres heutigen Preisträgers.

    Warum zeichnen wir Christoph Hein heute mit dem Solothurner Literaturpreis aus?

    Diese Qualitäten sind es, die uns am heutigen Preisträger begeistern; davon und von seinem neuesten Wurf jetzt noch etwas genauer die Rede: Wer immer Christoph Hein und seiner Arbeit sich annähert, kommt an einem Begriff nicht vorbei, an jenem des Chronisten, als den der Autor sich selbst sieht. «Ich verstehe mich als Chronist», sagt Hein im Gespräch, «der mit grosser Genauigkeit aufzeichnet, was er gesehen hat. Damit stehe ich in einer grossen Tradition von Johann Peter Hebel bis Kafka … meine Texte sollen Chronik sein meiner Zeit und meiner Gesellschaft. Das erfordert», fährt Hein fort «gleichermassen Distanz und Nähe». Und weiter: «Ich kann nur über das Eigene sprechen … Chronist sein, heisst dann, zuallerst von sich selbst Bericht zu geben». Und so wird die Geschichtsschreibung persönlich und poetisch: «die Chronik eines Schriftstellers» heisst es in der erwähnten Anti-Zensurrede, «die Chronik eines Schriftstellers ist nicht objektiv, sondern sehr viel mehr: Sie ist eingreifend und realistisch und phantastisch und magisch, Poesie eben». Diese eigenwillige Auslegung des Poetischen gibt eine Ahnung von Heins literarischen Verfahren. Worauf es ihm ankommt: der Chronist wertet nicht er gibt keine Handlungs-anweisungen: «Ich bin kein Prediger», sagt Hein, «der den Sachverhalt, den er darstellt, auch noch kommentiert … aber dennoch ist meine Haltung erkennbar. Man kann nicht schreiben und sich bedeckt halten.
    Ohne Rückgrat ist Schreiben nicht möglich.»

    Nun knapper kann ich Heins Schaffen nicht charakterisieren!
    Wie komplex und vielschichtig sich diese Chronistenfunktion in der literarischen Praxis ausnimmt, wäre nun an jedem Buch zu zeigen; ich will es exemplarisch mit «Horns Ende» versuchen, dem meisterhaften Roman von 1985, den ich für eines der wichtigsten Bücher aus 40 Jahren DDR-Literatur überhaupt halte. (Ironie der Zensurgeschichte – es ist das einzige belletristische Buch, das in einem DDR-Verlag trotz ausgesprochenen Verbots durch die Zensurbehörde herausgekommen ist. Der mutige Verleger Elmar Faber liess nach zwei Jahren erfolglosen Kampfes um Druckgenehmigung das Buch erscheinen, und dank der Angst der Oberen vor West-Reaktionen blieb er unbehelligt) .

    «Horns Ende» ist ein Buch über Geschichte, Geschichtsverständnis und Geschichtsschreibung. Aus dem Abstand von 25 Jahren werden Geschehnisse in der fiktiven Kleinstadt Guldenburg aus dem Jahr 1957 beschrieben. Der Historiker Horn, 1953 aus politischen Gründen aus der Grosstadt ins Museum des Badestädtchens verbannt, entzieht sich der aus nichtigem Anlass drohenden erneuten Verfolgung durch Freitod. Vier Menschen – Thomas, halbwüchsiger Apothekersohn, der Horn im Museum hilft, Dr. Spodeck, langjähriger Arzt in Guldenburg, Kruschkatz der damalige Bürgermeister und Parteifunktionär sowie Gertrud, Zimmerwirtin und kurzzeitig Geliebte Horns Gertrud, alle vier reflektieren diesen Suizid, schildern ihre subjektive Sicht des Geschehenen, unterbrochen von kurzen eindringlichen Dialogen, Dialogen vermutlich zwischen dem toten Horn und Thomas – dem alter Ego des Autors als Kind. Dialogen über die Wichtigkeit der Erinnerungsarbeit. Viel vom Autor enthüllt sich auch in der Figur des Arztes, der eine Stadtchronik «als eine Geschichte der menschlichen Gemeinheit» schreibt: «ich will die Geschichte der Gemeinheit mit dem klaren unbestechlichen Blick der alten Chronisten ohne Hass und Eifer weiterführen, damit, was ich nicht abwehren konnte, nicht duch mein Schweigen bestärkt wird.»

    Spodeck-Hein insistieren auf der Kontinuität von Geschichte und legen sich damit quer zum DDR-Mythos von der «Stunde Null» bei der «Befreiung» 1945, welcher die Nazi-Vergangenheit ausblendet.
    Kernstück von Heins Geschichtsdebatte bildet ein langer Dialog zwischen Horn und Spodeck; Horn verweist auf die Subjektivität aller Erinnerung, auf die vielfachen Brechungen und Spiegelungen, Lücken und Ergänzungen. «Bedeutet das», fragt der Arzt, «Sie raten mir, ohne Gedächtnis zu leben?» – «Nein», erwidert Horn, «das wäre unsinnig, (weil es unmöglich ist.) Ich rate Ihnen nur, Ihren Erinnerungen zu misstrauen». Worauf der Arzt sein Credo wiederholt: «Vielleicht haben Sie recht, aber wir werden mit unserem Gedächtnis leben müssen. Welch ein entsetzlicher Gedanke, ohne Gedächtnis leben zu wollen. Wir würden ohne Erfahrungen leben müssen, ohne Wissen und Werte. Löschen Sie das Gedächtnis eines Menschen, und Sie löschen die Menschheit».
    Geschichte ist vielstimmig und fragmentarisch – die Wahrheit gibt es nie; diese Einsicht so anschaulich wie zwingend zu vermitteln, gelingt der Schreibkunst des Christoph Hein. Dabei ist er nie der Besserwisser, sondern eben einer, der sich selbst misstraut, der fragt und zweifelt.

    Diese selbstkritische Offenheit finden wir wieder im neuesten Text unseres souveränen Preisträgers. Der eben erschienene Roman «Willenbrock», wirft ungemütliche Fragen auf zu den gesellschaftlichen Verwerfungen in den zehn Jahren seit der Wende. Er zeigt, mit dem Understatement einer wie beiläufig erzählten Krimi-Handlung, wie einem Mann nach und nach die selbstverständlichen Übereinkünfte des Gesellschaftsvertrags entgleiten, wie er sich in «waldursprüngliche» Zeiten, wie es heisst, zurückbewegt. Die Story:

    Bernd Willenbrock, abgewickelter DDR-Ingenieur hat sich rasch umgestellt und betreibt einen florierenden Gebrauchtwagenhandel am Stadtrand Berlins mit Kundschaft vorab aus Polen und weiteren Ostländern. Mit seinen flotten Profiten finanziert er auch die unrentable Modeboutique seiner hübschen Frau. Er hat sich vorgenommen, mit seinem Leben immer zufrieden zu sein, obwohl er durchaus Grund hätte zu Gram oder Groll. Denn sein Bruder, seinerzeit mit dem Fluggerät der Segelsportgruppe in den Westen geflogen, hat ihm damals die Luftkarriere versaut; und ein Arbeitskollege im früheren Betrieb hat ihn mit Denunziationen bei der Stasi an Aufstieg und Westreisen gehindert.

    Aber beides berührt Willenbrock nicht mehr: «vielleicht sind Parteien ein Auffangbecken für Gescheiterte» kommentiert er trocken, als er dem Denunzianten als Kommunalpolitiker wiederbegegnet, und erst viel später, als sein Gleichmut längst wankt, haut er ihm mehr zufällig die Faust ins Gesicht. Was den Roman, der mit Krimireizen nicht geizt, zur beunruhigenden Bestandesaufnahme bröckelnder Zivilisation macht, ist das fast unmerkliche Wegrutschen der ‘Inneren Sicherheit’ des Helden im doppelten Sinn: nachdem er mehrfach beraubt, überfallen, an Gut, Leib und Leben bedroht worden ist, hält der ehemalige Waffendienst-verweigerer plötzlich einen Revolver in der Hand – als satanischer Ueberbringer fungiert ein russischer Mafioso – und wie dereinst im Wilden Westen, wird er seine Freiheit mit dem Schiesseisen verteidigen, zumal Polizei und Justiz kläglich überfordert scheinen.
    Faustrecht und Selbstjustiz als Visionen für ‘s 21. Jahrhundert in der Festung Europa, die sich des Ansturms der armen dritten auf die reiche erste Welt nur mit blanker Waffe zu erwehren weiss? Mit dem Satz «Alles wird Asien» bringt eine Figur das Dilemma – vom Autor böse-ironisch zugespitzt, auf den prekären Punkt. Heins ganz unterkühlt, undramatisch erzählte Michael-Kohlhaas-Geschichte irritiert nachhaltig.

    Heitere Aussichten!? Wenn Willenbrock – unschuldig-schuldig – am Ende behauptet, am Besitz des Revolvers Spass zu haben, markiert dies die tiefgreifende Zäsur: da wird keiner mehr im Frieden leben, weil es den bösen Nachbarn nicht gefällt. Willenbrocks Wille ist gebrochen worden, seine Freiheit hat sich in Unfreiheit verwandelt: Der Schlussatz verhöhnt und entlarvt die längst durchlöchterte Idylle meisterlich «Die Obstbäume standen in Blüte, und das Abendlicht verstärkte den zarten Glanz der rosafarbenen Blätter».

    Darauf angesprochen, dass in seinen Texten fast alle im Scheitern enden, hat Hein einmal entgegnet: «Ich würde es schöner finden, wenn Sie von Sehnsucht sprächen. Das ist vielleicht nur ein anderes Wort dafür, aber es ist ein produktiveres Wort. Es ist mir wichtig, dass die Figuren nicht scheitern, sondern versuchen, in eine visionäre Gegenwelt zu kommen, in das Bild einer Welt, die ihnen entspricht». Sehnsüchte, Hoffnungen – ganz leise, wie zarte Blumen unverhofft am staubigen Wegrand tauchen sie in Heins Werk auf.

    Kehren wir zum Schluss noch einmal zu Jakob Borg und seinen Freunden und ihren Sehnsüchten zurück. Katinka erfindet sich eine Freundin und siehe da: plötzlich schreibt diese ihr reale Briefe. Als der Autor bei diesem Bericht Jakob fragt «und das verwundert dich gar nicht?», erwidert Jakob: «Natürlich … aber das ist verständlich. Über ein Wunder soll man sich ja wundern. Verstehst du? … Ich fürchte, Erwachsene haben es schwer. Sie verstehen so wenig. Wenn ihnen ein Wunder passiert, suchen sie immerfort nach einer Erklärung. Aber Wunder kann man nicht erklären, sonst wären es ja keine Wunder».

    Lieber Christoph Hein, ich gratuliere sehr herzlich – auch im Namen meiner JurykollegInnen Christine Eggenberg und Beat Mazenauer -, denen ich für gute Zusammenarbeit ebenso danke wie den Stiftern dieses Preises, die uns wiederum in völliger Unabhängigkeit haben wirken lassen. Herzlichen Glückwunsch also zum Solothurner Literaturpreis 2000, Christoph Hein – wir freuen uns auf Ihr weiteres Wirken!

    Meine Damen und Herren, lassen Sie sich lesend zum Wundern bringen – ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit!