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  • Laudation auf Birgit Vanderbeke

    Hans Ulrich Probst, 15. Juli 1999

    Liebe Birgit Vanderbeke,
    Herzlich willkommen in Solothurn – für viele die literarische Hauptstadt der Schweiz!

    Meine Damen und Herren,

    Ich freue mich, Ihnen heute eine Autorin als Preisträgerin zu präsentieren, die die deutschsprachige Literatur im vergangenen Jahrzehnt um einen so witzig-hintergründigen, wie frech-eigenwilligen Erzählton bereichert hat und dazu keiner ausgefallener Sujets bedarf.

    Zum Auftakt ein Zitat, das diesen Ton hörbar macht.

    Es ist im Grunde ganz erstaunlich, dachte ich, wie schlecht die Menschen für eine so ernste Sache ausgestattet werden, die doch jedem irgendwann passiert oder beinahe jedem, und manchen sogar öfter. Es gibt Lehrgänge und Kurse für und gegen jeden Quatsch auf der Welt, ich kann Paläographie, Crêpes Suzette und Buchhaltung lernen, Fahrstunden nehmen und mir alle mögliche Software vorwärts und rückwärts beibringen, ich kann Halogenschweissgeräte bedienen und flexen und faxen, Rosen pflanzen, nur mit der Liebe kenne ich mich nicht aus. Mit der Liebe kennt sich in Wirklichkeit keiner aus, obwohl es jeder behauptet und mindestens drei oder vier Theorien dazu hersagen kann. Aber wenn es ernst wird, merkt man sofort, dass die Theorien nichts taugen, weil ausgerechnet der eigene Fall nicht darin vorkommt, sondern immer nur schlichte Modelle, und die eigenen Fälle sind nicht schlicht, sondern einmalig und kompliziert; einmalig besonders auch in ihrer Unergründlichkeit, Undurchsichtigkeit, ihrer einmaligen Unverständlichkeit, Unübersetzbarkeit und der besonderen Grausamkeit, mit der sich diese einmalige Sache unausweichlich erst ernst und bedrohlich entwickelt, um einen dann mit galoppierender Geschwindigkeit aus der Kurve und in die grässlichsten Gruben und Abgründe zu tragen. Es müsste, dachte ich, Selbstverteidigungskurse dagegen geben (AL 90).

    Eine Fülle von typischen Motiven und Besonderheiten von Birgit Vanderbekes Schreiben sind an diesen paar Zeilen – aus «Alberta empfängt einen Liebhaber» – ablesbar:
    Vanderbeke rückt dem schwierigen Verhältnis von Mann und Frau, dem komplexen Konglomerat dessen, was hinter den 5 Buchstaben L-i-e-b-e steckt, energisch zuleibe, in einem rasanten Erzählrhythmus, der den Text entschlossen vorantreibt, die Argumentation beschleunigt und verknappt und zuletzt mit fast übermütigen Übertreibungen und lautmalerischer Lust hinsteuert auf die liebste Stilfigur dieser Autorin – das Oxymoron,wonach ausgerechnet gegen die Liebe Selbstverteidigungskurse vonnöten wären.

    Bemerkenswert ist weiter, was dieser rhetorisch überhitzten Suada unmittelbar folgt: Der Satz nämlich: Man müsste erst einmal lernen können, nicht aufs Telefonklingeln zu warten – ein Satz, der wie ein subtil plazierter Stoppball abtropft und auf den Teppich alltäglichen Misslingens zurückführt.

    Unser Einstieg sollte veranschaulichen, wie klug kalkuliert und gleichzeitig leichthändig unsere Preisträgerin ihre erzählerischen Mittel einsetzt und welch stupende Fähigkeit zur Sprach– und Situationskomik ihre Prosa prägt .Diesen Qualitäten, von ernsten Beziehungsdingen mit höchst undeutschem Humor aberwitzig zu parlieren bin ich persönlich erstmals in ihrem zweiten Buch begegnet. – «Fehlende Teile» heisst es und ist ein faszinierender Versuch, Max Frischs «Mein Name sei Gantenbein» fortzuschreiben, indem die Versuchsanordnung mit dem sehenden Blinden und seiner liebreizend–beschränkten Lila erweitert wird zu einer spielerischen Abrechnung mit den blinden Flecken des Mannes M.F.!

    Doch nun der Reihe nach: wer ist Birgit Vanderbeke; am 8.August 1956 im brandenburgischen Dahme geboren, kommt sie mit ihren Eltern knapp vor dem Berliner Mauerbau 1960 in den Westen und lebt ab 1963 für fast dreissig Jahre in Frankfurt, nach der Schule studiert sie Romanistik und Rechtswissenschaft, arbeitet für kurze Zeit im berühmten Frankfurter Institut für Sozialforschung, wird 1985 Mutter eines Sohnes, der in der Kindertagesstätte u.a. mit den Kindern von Leuten namens Joschka Fischer und Daniel Cohn–Bendit spielt.

    Im Jahre 1990 betritt Birgit Vanderbeke dann die literarische Bühne 1990 quasi mit einem Paukenschlag: für ihre Lesung aus dem Manuskript von «Das Muschelessen» in Klagenfurt gewinnt sie den Ingeborg–Bachmann–Preis. Im Herbst 90 erscheint das Buch, dem seither fast im Jahresrhythmus sechs weitere gefolgt sind. 1992 zieht sie für kurze Zeit nach Berlin, 1993 übersiedelt sie nach St.Quentin-la-Poterie,einem kleinen Dorf im Languedoc, unweit dem Städtchen Uzès und dem Pont du Gard, mit dem TGV via Avignon zu erreichen, davon wird noch zu reden sein – zunächst lade ich Sie aber zu einem kleinen, natürlich fragmentarischen Rundgang durch Birgit Vanderbekes erzählerisches Werk.

    Das Muschelessen, das ist ein abgründig-schauerliches Porträt des Vaters aus den Zeiten des Wirtschaftswunders und scheinbar unangefochtener Familientyrannen. Während die Mutter und die zwei halbwüchsigen Kinder wohlgezwirbelt vor einem Berg Muscheln auf die Rückkehr des eben beförderten Vaters von der Dienstreise warten, enthüllt sich das Elend der spiessigen Kleinfamilie mit ihrem Ordnungs– und Leistungsterror, gewalttätiger Unterdrückung von Frau und Kindern in rabiater Schärfe, vorwärtsgepeitscht von einem Wörterstrom, der einen unwiderstehlichen Sog entwickelt; mit zunehmend böseren Worte proben die Unterdrückten die Auflehnung gegen den brutalen Patriarchen, überwinden redend ihre Angst, bis gesagt ist –
    dass mein Bruder und ich es besser fänden, wenn er nicht käme, am besten überhaupt nicht mehr käme, weil es uns keinen Spass mehr macht, eine richtige Familie, wie er es nannte, zu sein, in Wirklichkeit haben wir gefunden, waren wir keine richtige Familie, alles in dieser Familie drehte sich nur darum, dass wir so tun mussten, als ob wir eine richtige Familie wären, wie mein Vater sich eine Familie vorgestellt hat, weil er keine gehabt hat und also nicht wusste, was eine richtige Familie ist, wovon er jedoch die genauesten Vorstellungen entwickelt hatte,usw. (ME 23f).

    Als zum Schluss endlich das Telefon klingelt, nimmt es keiner mehr ab – und die ekligen Muscheln werden auf den Müll gekippt.

    Auf diesen familiären Kriegsschauplatz führt Vanderbekes fünftes Buch mit dem spöttischen Titel «Friedliche Zeiten» zurück, wobei der kritische Mittelpunkt hier die depressiv–neurotische Mutter ist – dem Vater zufolge noch immer «ne olle Nazi».E rzählt wird hochbewusst aus einer quasinaiven Kinderperspektive: Die Erzählerin und ihre Schwester beobachten die «Kriegshandlungen» zwischen den ungleichen Eltern, es sind «Kriege» um Klo- und Badezimmerschlüssel, ums Heizen und um Treue – die Mutter trauert dem von Partisanen erschossenen Wehrmachtsverlobten nach – der Vater vergnügt sicht mitunter auswärts – Grund genug für die Mutter, die Kinder ins Auto zu packen, um in den Abgrund zu fahren.

    Als wir auf der Brücke waren, schluchzte die Mutter und sagte, Kinder, das ist der Rhein, jetzt fahre ich in den Rhein. Ich sagte sehr schnell, Mama, nicht, und sie sagte, keine Angst, ich nehme euch mit (FZ 14).
    Die Icherzählerin kann in extremis das Steuer herumreissen, lebt aber fortan unter diesem Dauerdruck von drohendem Suizid oder Scheidung. So überbehütend, überfürsorglich diese Mutter ihre Brut belagert, so unbarmherzig entlarvt die Autorin die Klischees von heiler Kindheit – und dies eben mit sprachlichen Mitteln, indem die Schwestern die oft unverstandenen Verlautbarungen der Eltern wörtlich nehmen und so deren verlogene Sprachhülsen demaskieren – beim Ansehen alter Fotos der jungen Mutter heisst es:
    sie sagte, was haben wir damals gelacht, aber auf dem Foto lachte sie nicht. (FZ 133)

    Wer dieses Buch liest, wird in Wechselbäder hemmungslosen Gelächters und fröstelnder Beklemmung getaucht, doch jede und jeder wird darin Ansätze der eigenen Sozialisationswirren wiedererkennen.

    Noch vor «Friedliche Zeiten» hat Birgit Vanderbeke ihre eigene Familiengründung thematisiert – die biologische, nicht iuristische – in einem schwindelerregenden Prosastück mit dem Titel «Gut genug». Darin entystifiziert unsere Preisträgerin kaltschnäuzig den Mythos von der Schönheit von Schwangerschaft,Geburt und Mutterschaft. Aus der schonungslosen Beobachtung dessen, was mit einer unvermittelt zur Kleinfamilie mutierten Beziehung geschieht, schöpft Vanderbeke eine glasklare,realistische Härte, durch schwarzen Humor mal gemildert,mal gerade zugespitzt. «Gut genug» ist eine erzählerische Studie über Herrschaft und Reproduktion, Vereinsamung und sozialen Verlust in der Kleinfamilie – boshaft gewiss,aber nie lieblos gegenüber dem Kind.

    Das Fazit der Erzählerin, nachdem sie sich durch Bibliotheken von Büchern übers Kinderkriegen und Kinderhaben gefressen hat –
    Ich hatte heraus, dass von den Leuten, die es probiert haben, keiner weiss, wie es geht, manche haben den Verdacht, es geht gar nicht. Und die,die wissen, wie es geht, haben es offenbar niemals probiert. Aber sie wissen, wodurch es schiefgehen kann, und wenn du hinguckst, ist es praktisch durch alles, was du machst, und durch alles, was du nicht machst. Ausser du machst es gut. / Gut ? / Wie gut ? / Gut genug. Sobald man mit Nachdenken anfängt, ist man schon längst verrückt (GG70).

    Ein schneidender Text – kaumdas ideale Geschenk für empfindsame Wöchnerinnen, umso mehr aber für erfahrenere Eltern!

    Blicken wir jetzt nochmals auf das zuerst erwähnte Werk «Alberta empfängt einen Liebhaber» – für das Birgit Vanderbeke erstmals nicht nur gute Kritiken sondern auch traumhafte Verkaufszahlen bekam. Von der Konstruktion her ist ihr ambitioniertestes und vertracktestes Buch, eine Ehe und Liebesgeschichte, ein Roman von den wirklichen Kriegen zwischen Mann und Frau, wobei Birgit Vanderbeke unangestrengt die Balance zu halten weiss zwischen schwärzesten Farben für schier unüberbrückbare Gegensätze der Geschlechter und der finalen Andeutung eines Happy-endings in der Ehe der Erzählerin.
    Alberta und Nadan werden uns ätzend komisch vorgeführt als Urgeschichte einer danebengegangenen Love-Story. Wie alle Bücher Birgit Vanderbekes startet auch dieses fulminant, man könnte eine Laudatio allein auf die Anfängssätze aufbauen: bei «Alberta …» lauten sie so:

    Kurz vor Himmelfahrt sind wir durchgebrannt. Ende März hatten wir entdeckt, dass wir uns unser Leben lang immer schon lieben und geliebt haben, von Anfang an und bis zum Jüngsten Tag. Es war nicht das erste Mal, dass wir diese Entdeckung machten, wir machen sie alle drei,vier Jahre, und was wir danach machen, ist anstrengend und richtet gewaltigen Schaden an, und nach einer Zeit sind wir nicht mehr sicher, dass wir uns schon immer geliebt haben, und halten es für den fatalen Irrtum unseres Lebens, je geglaubt zu haben, wir könnten uns auch nur fünf Minuten gefahrlos in ein und demselben Raum beide gleichzeitig aufhalten, ohne dass irgendein Unglück passiert. (AL 7)

    Die beiden haben sich in den fernen Siebzigern kennen gelernt, als man «für den Frieden in Vietnam» küsste und nicht wegen sich selbst – trotz günstigster Gelegenheit in einer Mondscheinnacht schafft Nadan diese Herausforderung nicht und so gehen sie auseinander. Erst Jahre später – da setzt das Buch so furios und schrill wie gehört ein – soll das Versäumte nachgeholt werden, doch das Durchbrennen endet im blanken Desaster – statt ins romantische Frankreich schaffens sie’s nur in ein trostloses Provinzgasthaus am Rand der Autobahn mit grölenden deutschen Spiessern als Mitinsassen und so können sie erneut zueinander nicht kommen, Alberta verbringt die Nacht schlaflos auf dem Balkon und als sie am morgen Nadans profane Gurgel-Geräusche im Badezimmer hört, dämmert ihr,

    dass Liebe im Kopf viel leichter ist als Liebe im Leben (AL44).

    Sie trennen sich erneut, Ende des 1.Teils. Der zweite enthüllt dann die Alberta-Nadan-Story als literarischen Entwurf einer Erzählerin, welche mit französischem Gatten und Kleinkind bei ihren Schwiegereltern im Rhône-Tal haust – in den Fängen und Fährnissen der Kleinfamilie – ans kränkliche Kind gebunden, derweil der Ehemann sachte, aber bestimmt wegdriftet. Während s i e ihre Alberta-Geschichte rund und drollig findet, hält e r sie für unfertig und böse, – so verfasst sie – das Schreiben als Instrument und Waffe im Ehekonflikt nutzend kurzerhand eine Fortsetzung, worin sich Nadan und Albert in den Neunzigern noch einmal treffen: Titel «Alberta empfängt einen Liebhaber» – Nadan werden die Hosen darin nochmals peinvoll-komisch strammgezogen: Punktsieg für die Autorin und fragiler Vorteil für die Gattin, wie das wie eine Seifenblase in der Sonne grazil-schillernde Schlussbild signalisiert.

    Neben die bekannten – im deutschen Gegenwartsschreiben raren –Tugenden der Prosa Vanderbekes – souveränes, ökonomisches Erzählen mit Verve und Witz, neben sie treten in ‹Alberta› neue Töne, welche hinter den saloppen Sarkasmen auch die verborgene Verletzlichkeit der Verfasserin hörbar machen und eine Autorin auf dem Weg zeigen, sich von den rein–satirischen Registern zu lösen, mehr von sich preiszugeben, die Figuren über die rasche und treffende Strichzeichnung zu vielschichtigen Charakteren zu erweitern.

    Grund genug jedenfalls war das bisher Vorgestellte für unsere Jury, Birgit Vanderbeke zur Preisträgerin 1999 zu küren. Wofür zeichnen wir Birgit Vanderbeke heute mit dem Solothurner Literaturpreis aus?

    Und jetzt halten wir druckfrisch Birgit Vanderbekes neuestes Buch in Händen, aus dem sie uns gleich anschliessend vorlesen wird – ein Text, der die mit «Alberta» abgegebenen Versprechen aufs Schönste einlöst:
    «Ich sehe was, was du nicht siehst» – heisst es, und es ist Birgit Vanderbekes persönlichstes Buch geworden, wie sie auch selber einräumt. Nie zuvor hat sie eine ihrer Erzählerinnen so nahe und so schutzlos der biographischen Erfahrungslinie der Autorin entlanggeführt und noch nie zuvor hat sie dafür so helle Farben gefunden – eine Tatsache, die sie selber umstandslos der neuen Lebensumgebung zuschreibt. Nun, wer ihr im Languedoc gegenübersitzt, in ihrem so reich angelegten wie üppig verwildernden Garten ihres Hauses zwischen Rosen und Lorbeer, Lavendel und Rosmarin, zu Füssen die Katze Alberta und ein knappes Dutzend ihrer so scheuen wie ungestümen Artgenossinnen, den Himmel und das Licht des Südens über sich, wer vermöchte diese Wandlung nicht verstehen!

    Worum geht es im neuen Text, der – wie immer bei dieser Autorin – erst lange ausgebrütet, und dann, während der Winter zu Ende geht, in einem Zug fast eruptiv in die Tasten geflossen ist: Wovon doch fast alle einmal träumen: die Zelte abbrechen, alles aufgeben, weggehen und woanders ganz neu anfangen.

    Die Icherzählerin und ihr Kind wagen es, aus der grosstädtischen Enge des wiedervereinigungsgeschädigten Berlins aufzubrechen und in der Fremde des ländlichen Südfrankreich ankommen zu lernen Man kann einfach weggehen, dachte ich – so lauten die ersten Worte und der das Buch liefert amüsant und anschaulich den Beweis, dass es eben alles andere als einfach ist.
    Ich sehe was, was du nicht siehst – dieses Kinderratespiel, wo es um genaue Wahrnehmung geht, bezeichnet leitmotivisch die Konfrontation alter und neuer Sehweisen, der Neubeginn wird zur eigentlichen «Schule des Sehens», zum Ablegen alter Mentalitäten und Reaktionsmuster und zum Wiederlernen unverstellter Wahrnehmung, gespiegelt auch in der Berufsarbeit der Erzählerin, welche Radiosendungen für Kinder über berühmte Maler schreibt, also gleichfalls, was sie sieht, ins nicht visuelle Medium zu übersetzen hat, so wie sie uns Lesenden für ihre Seherfahrungen Worte findet, gespiegelt auch in der Tätigkeit des vorerst fernbleibenden Gefährten und Vaters: er ist Kunst-Fälschungen auf der Spur – variiert so das Thema des genauen, des richtigen Sehens.

    Der Kulturschock, den der Wechsel vom Berliner Hinterhaus in ein von Ameisen, Spinnen und Skorpionen bevölkertes, kaum heizbares provenzalisches Landhäuschen bedeutet, er wird in keinem Moment beschönigt: Einsamkeit und Alltagswidrigkeiten stehen am Anfang, hinzu kommen hinderliche Besuche aus der alten deutschen Welt – von Vanderbeke mit ihren nach wie vor umwerfenden satirischen Registern beschrieben – das Weggehen und Ankommen sind von viel Angst begleitet – Angst, ein Schlüsselwort fürs ganze Buch im Doppelsinn, von Furcht und Schauder, angoisse und peur, ja die Heldin verfällt in richtige Depressionen. Erst nach und nach wächst die Zuversicht, es zu schaffen, wächst dank unaufdringlich freundlichen Nachbarschaftskontakten, und auch dank der Rückkehr des Gefährten und Vater, welche – für diese Autorin doch überraschend – zur Erzählung von einer behutsam gelingenden erwachsenen Liebe gerät.

    René sagte, ich bin dir doch wohl nicht fremd, und ich sagte, du bist mir nicht fremd. Ich glaube, wir sind mir fremd. René sagte, ach weisst du, ‹Wir›, das fängt doch immer erst an, siehst du das nicht. Ich sagte, einverstanden, das fängt jeden Tag wieder an (IS 72).

    Dazu prägen ganz neue Naturerfahrungen – mal überwältigend – der Sternenhimmel im August, die Stille am Abend – mal bedrohlich – Waldbrand, Regenstürme, Winterkälte – die neue Existenz – auch hier haben die unbedarften Abkömmlinge der Grosstadt schlicht zu lernen. Für dieses Buch hat die Autorin ihren Stil noch einmal verknappt, reduziert und vereinfacht und zu einem ganz selbstverständlichen dicht poetischen Ton, der die artistische Anstrengung, welche dahinter steht, beim Lesen völlig vergessen lässt, so dass man nach 120 Seiten erstmals aufschaut und das Buch ungern, doch beglückt aus der Hand legt.

    Ich freue mich, dass zur Verleihung unseres Preises, uns diese Erzählung quasi als Morgengabe vorliegt.

    Liebe Birgit Vanderbeke, ich gratuliere sehr herzlich – auch im Namen meiner JurykollegInnen Christine Eggenberg und Beat Mazenauer –, denen ich für angenehme Juryarbeit und tatkräftige Unterstützung bei der Vorbereitung zu danken habe.

    Ein grosser Dank geht auch an die Stifter dieses Preises für die Unabhängigkeit, mit der sie uns arbeiten lassen.

    Herzlichen Glückwunsch also zur verdienten Auszeichnung mit dem Solothurner Literaturpreis 1999, Birgit Vanderbeke – wir freuen uns auf Deine weiteren Bücher!